Redebeitrag Hannes Schiller gegen eine Gebührenerhöhung für die Benutzung der Kitas

Herr Stadtverordnetenvorsteher, liebe Kolleginnen und Kollegen,

erneut stehen die Gebühren für die Kindertagesstätten in Solms auf der TO der STVV. Ja, seit dem Jahr 2003 sind die Kindergartengebühren im Bereich ü3 nicht mehr angehoben worden, allerdings wurde in diesem Zeitraum durchaus mehrmals über eine Erhöhung diskutiert – eine Mehrheit für ein neues Konzept kam allerdings nicht zustande. Dies lag sicher auch daran, dass sich die Fraktionen in diesem Parlament in einem Dilemma zwischen einer eigentlich sozialpolitisch sachgerechten Entscheidung und einem Schuldenberg der Stadt gesehen haben.

Wir von Bündnis 90/die Grünen sind zur letzten Kommunalwahl 2011 mit der Aussage angetreten, keine weiteren Erhöhungen bei den Gebühren für die Kitas mitzutragen. An dieser Stelle werden wir auch nicht umfallen und wir behalten in dieser Frage unseren grundsätzlichen Standpunkt.

Nach unserer Überzeugung sollten alle Betreuungs- und Bildungsangebote in Hochschule, Schule und Kindertagesstätten gebührenfrei gestellt sein. Die heftigen Diskussionen um die Studiengebühren in Hessen und der massive Widerstand der Öffentlichkeit hatten hier zu einer Rücknahme geführt. Das ist ein gutes Beispiel und ein Beleg dafür, dass nur durch eine breite Diskussion und politischen Druck auch in der Frage der Kita-Gebühren eine grundsätzliche Änderung erreicht werden kann.

Davon sind wir aber offensichtlich noch weit entfernt. Trotzdem sollten sich nach unserer Überzeugung Gebührenentscheidungen für die Kitas an diesem Ziel orientieren und nicht in die entgegengesetzte Richtung gehen.
Die inhaltliche Begründung unserer Haltung ist klar:
Die Notwendigkeit frühkindliche Erziehung heute hebt sich erheblich ab vom Anspruch des Kindergartens im letzten Jahrhundert. Die gesell­schaft­liche Entwicklung hat die Bedeutung der Kindertagesstätten massiv auf­ge­wertet: Ich nenne 3 Punkte:

  • Sie fördern und entwickeln Kompetenzen der Kinder, die für eine weitere erfolgreiche Teilhabe in der Gesellschaft elementar sind.
  • Sie können zu einem frühen Zeitpunkt Defizite ausgleichen, die zu einem späteren Zeitpunkt kaum noch korrigierbar sind.
  • Sie sollten von uns nicht in erster Linie als Kostenfaktor, sondern als eine langfristige, für uns alle nützliche Investition angesehen werden, die sich gesellschaftlich positiv auszahlen wird.

Die Betreuung und Förderung der Kinder ist also unser aller Anliegen und alle sollten auch in gleicher Weise dafür aufkommen.

Und es kommt neben diesen bildungspolitischen Gründen noch ein wei­te­res Argument hinzu: Die notwendige Verbesserung der Vereinbarung von Familie und Beruf. Da gibt es gewaltigen Handlungsbedarf. Die Benachteiligung der Familien in unserer Gesellschaft ist eine Tatsache, die von vielen Eltern täglich erfahren wird aber auch durch verschiedene Studien nachgewiesen ist. So kommt die Familienwissenschaftliche Forschungsstelle Stuttgart zu dem Ergebnis: „In allen Phasen haben kinderlose Ehepaare einen Ein­kommens­vor­sprung. Der Einkommensvorsprung beträgt in den ersten drei Familien­phasen pro Kopf ca. 600 Euro pro Monat. Das Pro-Kopf-Einkommen Kinder­loser ist damit nahezu doppelt so hoch wie das von Ehepaaren mit Kindern. Gerade in diesen Phasen zeigt sich, dass die zwar grundsätzlich mit der Familienphase steigenden Einkommen jedoch nicht mit dem wachsen­den Bedarf der Familien Schritt halten.“
Der Deutsche Familienverband kommt zum gleichen Ergebnis und weist anhand der Einkommenssituation von Familien nach, dass deutliche Einkommensnachteile mit der Geburt von Kindern verbunden sind.

Der wesentliche Grund für dieses starke Einkommensgefälle ist der Verzicht oder die Reduzierung der Erwerbstätigkeit der Mutter zugunsten der nicht bezahlten aber gesellschaftlich bedeutsamen Erziehungsarbeit oder auch die wirtschaftlich schwierige Situation Alleinerziehender. Von der Rentenperspektive will ich hier gar nicht sprechen.

Die niedrige Geburtenrate in Deutschland hängt sicher mit dem wachsenden Wohlstand der Gesellschaft und dem strukturell wirt­schaft­lichen Ungleichgewicht zwischen Kinderlosen und Familien zusammen. Es bestehen zunehmend Anreize – wirtschaftliche und berufliche Gründe –, auf Kinder zu verzichten.
Dieser Entwicklung sollten wir nicht noch durch das Drehen an der Gebühren­schraube Vorschub leisten, sondern diesen bestehenden Ungerech­tig­keiten entgegenwirken. Es kann nicht richtig sein, die Familien, die ohnehin Benachteiligungen in Kauf nehmen müssen, noch mehr zu belasten. Angesichts dieser Sachlage sind die geplanten Gebührenerhöhungen also eindeutig das falsche politische Signal! Sie würde im übrigen die als kinder- und familien­freund­lich anerkannte Stadt Solms im Lahn-Dill-Kreis in die Spitzen­gruppe der teuersten Kommune befördern – ein fragwürdiges Prädikat!

Trotzdem wollen und können wir uns nicht der prekären Haus­halts­situation verschließen. Wir sind uns durchaus der Haushaltsproblematik bewusst und wissen, dass wir für den städtischen Haushalt dringend höhere Einnahmen brauchen. Vertretbare Einsparungen im Rahmen der Haus­halts­kon­so­lidierung bringen kaum noch nennenswerte Ergebnisse.
Wir sind als Grüne durchaus auch offen für notwendige Mehrbelastung der Bürgerinnen und Bürger im Rahmen der Anhebung der Grundsteuern der Kommune, da hier direkt oder indirekt alle mehr beitragen müssen und nicht eine Gruppe – hier die Eltern und Familien- zusätzlich belastet würden. So verstehen wir die vorgeschlagene Gebührenerhöhung auch als eine Art „Notwehrmaßnahme“ wegen einer völlig unzureichenden finanziellen Ausstattung der Stadt für ihre Aufgaben – und das in ganz besonderer Weise für den Bereich der Kinderbetreuung und der früh­kind­lichen Bildung.
Sie wird allerdings nach unserer Auffassung an der falschen Stelle angesetzt.

Aber ist die Konsequenz dieser Gebührenerhöhung, die vielen auf den ersten Blick offenbar fast zwangsläufig erscheint, dann wenigstens haus­halts­politisch wirk­sam und löst sie zumindest ansatzweise das Problem?
Im eingebrachten Haushalt für 2015 wird ein Fehlbetrag zwischen Erträgen und Auf­wen­dungen von gut 2,8 Mio. Euro festgesetzt. Stellt man die Aus­ga­ben der Stadt für die Kitas von rund 2 Mio. Euro dagegen, so wird eines sehr deut­lich: Die Kinder­betreuung ist der mit Abstand größte „Ausgabenfaktor“ im Solmser Haushalt – und diese Aufgabe ist zum überwiegenden Teil schulden-finanziert. Die betroffenen Eltern zahlen in der Tat davon nicht einmal 20 %! Unter rein betriebswirtschaftlicher Sichtweise spricht also viel für eine spürbare Anhebung der Gebühren.

Andererseits zeigen diese finanziellen Proportionen allerdings auch: Mit dem Mittel der zumutbaren und leistbaren Gebührenerhöhung ist eine grundlegende Veränderung kaum möglich! Der sinnvolle und notwendige Ausbau des Betreuungssystems mit Ganztagsangebot und Kinderkrippe hat eine organisatorische Größenordnung und einen Finanzierungsbedarf angenommen, der mit einer Anpassung der Gebührensatzung völlig überfordert ist. 80.000 Euro Mehreinnahmen gegen 2 Mio.Euro Fehlbetrag – da muss man doch eher von einem kosmetischen Effekt sprechen.

Zwingend notwendig und sachlich geboten ist vielmehr eine erheblich höhere Zuweisung durch das Land und den Bund. Der hessische Gesetz­geber hat durch rechtliche Vorgaben gute aber auch kostenintensive Betreuungs­standards vorgegeben und drückt sich nun um die Anwendung des eigentlich gesetzlich vorgesehenen sog. Konnexitätsprinzips – also auch das zu bezahlen, was er gesetzlich für notwendig hält! Die Stadt Solms ist mit ihren finanziellen Möglichkeiten hier völlig überfordert!
So erscheint uns dieser Weg nicht mehr als eine Erfüllung von Kon­so­li­die­rungs­ansprüchen durch die Kommunalaufsicht zu sein als eine nachhaltige Maßnahme zu soliden Finanzen der Stadt.

 

Die eingangs ausgeführten bildungs- und sozialpolitischen Argumente halten wir daher für schwerwiegender als die möglichen insgesamt unzureichenden Einnahmeverbesserungen durch eine Mehrbelastung der Eltern. Der Druck sollte vielmehr weiter politisch an das Land und den Bund gerichtet werden.

Einen ersten Schritt hatte das Parlament im Dezember 2013 bereits getan und in einer einstimmigen Resolution – eingebracht von uns Grünen und der SPD – dem Land die erhebliche Unterfinanzierung der Kommunen vorgehalten. Ich zitiere aus unserer Begründung: „Kommunale Haushalte können nicht nur über wachsende Mehr­be­lastung der Bürgerinnen und Bürger durch steigende Gebüh­ren und Steuern, eine wachsende Einschränkung oder gar Schließung städtischer Angebote und Einrichtungen und einer wachsenden Ver­nach­lässi­gung der städtischen Infrastruktur saniert werden.
Vielmehr bedarf es grundsätzlich einer größeren Steuergerechtigkeit und einer sach­gerechten Verteilung der Mittel zwischen Bund, Ländern und Kommunen. Ohne eine grundlegende Reform dieser Strukturen wird ein ange­messener finanzieller Handlungsspielraum der Kommunen nicht erreichbar sein.“
Die Reaktion der Landesregierung und der Fraktionen im Landtag war inhaltlich eher bescheiden und ausweichend.

Den betroffenen Eltern und den Elternvertretern schlage ich abschließend vor, ihren berechtigten Protest nicht nur bei der Stadt und ihren politisch Ver­ant­wortlichen vorzutragen, sondern ihn auch eindringlich an die poli­tischen Stellen im Land zu bringen, die eigentlich nur für eine Lösung dieses Problems sorgen können.

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